S. Greer: Commemorating Power in Early Medieval Saxony

Cover
Titel
Commemorating Power in Early Medieval Saxony. Writing and Rewriting the Past at Gandersheim and Quedlinburg


Autor(en)
Greer, Sarah
Reihe
Studies in German History
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Freund, Fakultät für Humanwissenschaften, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Gandersheim und Quedlinburg wurden im 9. bzw. 10. Jahrhundert in jeweils besonderen historisch-persönlichen Konstellationen als Memorialzentren der Liudolfinger-Ottonen gegründet. Beide (Frauen-)Stifte gelten zudem als Zentren schriftlicher Überlieferung. Da sich die Forschung seit längerem darüber einig ist, dass historiographische Quellen bzw. deren Verfasser kein bloßes antiquarisches Interesse verfolgten, sondern mit ihren Darstellungen eine ganz bestimmte Sicht auf die Vergangenheit entwerfen und transportieren wollten und dadurch insbesondere seit der Mitte des 10. Jahrhunderts Teil eines Zeitdiskurses waren, ist die Frage nach Entstehung und Selbstdarstellung dieser Institutionen von erheblichem Interesse. Somit verspricht die Studie von Sarah Greer – eine PhD-Arbeit von 2016 – eine spannende Lektüre.

Der Auftakt ist verheißungsvoll, verknüpft Greer in ihrer Einleitung (S. 1–16) doch die Legende von den Schweinehirten, denen an der Gande in der Mitte des 9. Jahrhunderts durch himmlische Zeichen der Ort für die kurz darauf erfolgte Gründung von Gandersheim durch ihren Herren Liudolf gewiesen worden sei, mit allgemeinen Ausführungen zur Bedeutung von Vergangenheit, deren Bewahrung bzw. Deutung als (politisches) Werkzeug über Individuen hinaus kollektive Funktion annehmen könne. Souverän wird die Arbeit hier eingeordnet in den Zusammenhang der Forschungen zu Memoria, kollektiven Identitäten, Totengedenken im Mittelalter und zur Rolle geistlicher Gemeinschaften in diesem Kontext. Zugleich erfolgt eine kenntnisreiche und gut zu lesende Einbettung der historiographischen Texte bzw. von Schriftquellen generell in die unterschiedlichen Formen der Erinnerung(skulturen). Sichtbar wird die Bedeutung von Historiographie als Mittel der Auseinandersetzung im Kontext monastischer Gemeinschaften und deren Rivalitäten, insbesondere weiblicher Kommunitäten.

In einem ersten Kapitel "Saxon Female Monasticism c. 852–1024" diskutiert Sarah Greer die Gründe für die Entstehung der sächsischen (Frauen-)Klosterlandschaft, in deren Kontext Gandersheim und Quedlinburg eingebettet waren und die zudem mit Essen, Herford und Nordhausen weitere ottonische Gründungen von herausragender Bedeutung umfasste. Greer zeigt die im Vergleich zum Westfrankenreich sowie zu England quantitative und qualitative Singularität der Frauenkonvente in Sachsen – überwiegend Kanonissenstifte. Die von ihr gebotene Übersicht ist ausgesprochen hilfreich, existiert für die in jedem Handbuch zur ottonischen Zeit apostrophierte große Zahl weiblicher Konventsgründungen (von 800 bis 900: 19 von 32; von 900 bis 1024: 31 von insgesamt 54!) doch keine neuere Übersicht. Allein durch die Nennung aller Gründungen unter Berücksichtigung der jeweiligen höchst unterschiedlichen Quellengrundlage kommt es in Teilen zu einer Relativierung bisheriger zeitlicher Einordnungen.

Im weiteren Verlauf der Studie fragt Greer in vergleichendem Ansatz danach, wie sich Frauenkonvente erfolgreich auf der politischen Bühne behaupten konnten und welche Rolle ihnen dabei zukam. Die Betrachtung konzentriert sich jeweils auf die Aspekte der Gründung und frühen Geschichte bzw. der später dort erfolgenden historiographischen Aufarbeitung/Neuerzählung dieser Zeit: "The Origins of Gandersheim" (S. 38–70); "Rewriting the Origins of Gandersheim" (S. 71–102); "The Origins of Quedlinburg" (S. 103–140); "Rewriting the Origins of Quedlinburg" (S.141–173).

Über die Frage nach dem Zusammenspiel von Macht, Politik, Geschlecht und Erinnerungskultur unterzieht Greer dabei die bekannten schriftlichen Quellen einer Neuinterpretation und nimmt so zugleich eine Überprüfung der bisherigen Erklärungen für den Aufstieg der Liudolfinger-Ottonen vor. Dadurch zeigt sie auf, dass die Gründungen weniger strategisch-langfristig ausgerichtet waren, sondern Reaktionen auf Gelegenheiten und Krisen darstellten und die Institutionen mit jeweils individuellen Möglichkeiten ihrerseits ihren Weg in der verworrenen politischen Übergangssituation seit der Mitte des 9. Jahrhunderts fanden. Deutlich wird, dass Vorstellungen, wonach die Ottonen als geschlossene Gruppe gehandelt und gemeinsam die Sorge um ihre Familienmemoria Frauengemeinschaften anvertraut hätten, einer konkreten Überprüfung nicht standhalten, handelt es sich bei den Liudolfinger-Ottonen doch vielmehr um Individuen mit jeweils eigenen Interessen, die einander wiederholte Male in heftiger Opposition gegenüberstanden. Über die Pflege der Memoria wurden in diesem Kontext jeweils individuelle Vorstellungen verfolgt, die bisweilen innerhalb einer Generation wechselten. Diese unterschiedlichen Interessenslagen hatten zur Folge, dass ein Wechsel in der Herrschaft auch zu Veränderungen bei der Auswahl der Memorialorte führte. Am Beispiel Gandersheims und Quedlinburgs ist zugleich zu beobachten, dass die (weiblichen) Mitglieder dieser Gemeinschaften ihrerseits eigene, auf das Wohlergehen ihrer Institutionen bezogene Ziele verfolgten, die sie mithilfe einer materiellen (Reliquien, Kunstwerke etc.) und textuellen (Historiographie) Erinnerungskultur zum Ausdruck brachten, innerhalb derer die Bezugnahme auf herausragende, mit der jeweiligen Institution verbundene Vertreter der Familie einen entscheidenden Faktor bildete. Damit aber wurden die Institutionen zugleich Teil der politischen Akteure jener Zeit und in die jeweiligen Auseinandersetzungen involviert. In einer stringenten "Conclusion: Ottonian Convents as Memorial Institutions" (S. 174–181) werden die Resultate nochmals gebündelt.

Die zahlreichen Einzelergebnisse führen zu weitergehenden Einsichten: Sarah Greer zeigt die unterschiedlichen Wechselfälle auf, denen die beiden Institutionen ausgesetzt waren – Geburten, Eheschließungen, Todesfälle, Aufstände und Kriege. All diese Faktoren bedingten, dass auch die Geschicke Gandersheims und Quedlinburgs einem beständigen Wandel ausgesetzt waren und die Beziehungen zu den Herrschenden, zu den Angehörigen der ottonischen Familie zumal, stets aufs Neue gefestigt werden mussten. Historiographie und die Entwicklung einer eigenen Sicht auf die Vergangenheit des Konvents konnte in diesem Zusammenhang dazu beitragen, sich ein stückweit unabhängig zu machen von den wechselhaften Gunsterweisen der Mächtigen. Damit gelingen Greer über den Blick auf die beiden Institutionen hinaus immer wieder auch Einsichten in das volatile Machtgefüge der ottonischen Herrschaft und in die Funktion, die die Berufung auf Heinrich I. und Mathilde als Legitimationsfaktoren in diesem Kontext haben konnte. Und nicht zuletzt leistet die Autorin damit einen gewichtigen Beitrag zur für jenen Zeitraum bereits gut etablierten Genderforschung. Dies gilt insbesondere für die Resultate zum Wandel im Amt der Äbtissinnen seit der Mitte des 10. Jahrhunderts. Durch die Einsetzung ottonischer Töchter in Gandersheim, Quedlinburg und Essen bekamen auch die Institutionen eine neue und sehr viel stärker politische Bedeutung – mit allen Konsequenzen. Die Stellung ihrer Äbtissinnen beruhte nun einerseits auf der Tradition der Institution, andererseits auf ihrer Zugehörigkeit zum Königshaus, was mitunter aber auch zu Konflikten zwischen Person und Institution führte. Der Gandersheimer Streit ist dafür das prominenteste Beispiel. Zugleich wird damit verständlich, weshalb Herrscherwechsel für die Institutionen potentiell weitreichende Gefahren mit sich brachten, mussten in diesen Fällen doch die personellen Beziehungen zum Königshof neu austariert werden. Umgekehrt spielten die Memorialzentren in Zeiten des Übergangs ihrerseits eine wichtige Rolle bei der Etablierung neuer Herrschaft(en).

Angesichts dieser überzeugend herausgearbeiteten Befunde, die über Gandersheim und Quedlinburg deutlich hinausreichen und zu einem vertieften Verständnis beider Institutionen, aber auch von Historiographie wie mittelalterlicher Memorialkultur generell führen, stellt sich freilich die Frage, warum in Magdeburg, das seit 937 durch Otto I. konsequent gefördert wurde, keine historiographischen Werke entstanden sind und warum dort keine Frauengemeinschaft ins Leben gerufen wurde.

Im Anschluss an ein Quellen- und Literaturverzeichnis erschließt ein Register (Personen, Orte, ausgewählte Begriffe) das sorgfältige, nur vereinzelte Flüchtigkeitsfehler aufweisende Werk. Deutschsprachige Forschungen werden von Greer in relativ großer Breite rezipiert. Mitunter fehlen ganz neue Publikationen.1 So hat kürzlich Katrinette Bodarwé die Gründung des Stifts Quedlinburg nochmals kritisch diskutiert; Oliver Schliephacke hat den dortigen Umgang mit der Memoria Heinrichs I. beleuchtet und Christian Warnke hat D O I 1 als mögliche Fälschung herausgestellt. Letzteres hat gravierende Auswirkungen auf die Einschätzung des Gründungsvorgangs als Ganzes und damit auch auf die von Sarah Greer gezogenen Schlussfolgerungen.

Diese wenigen kritischen Bemerkungen sollen den Wert der Studie jedoch nicht schmälern. Sie ergänzt die Reihe ungemein inspirierender englischsprachiger Forschungen zum ottonischen Reich um eine weitere: Sarah Greer hat ein kenntnisreiches, neue Perspektiven eröffnendes Werk verfasst. Dessen Lektüre ist von Anfang bis Ende spannend.

Anmerkung:
1 Für Quedlinburg betrifft dies z.B. folgende Werke: Stephan Freund / Thomas Labusiak (Hrsg.), Das dritte Stift. Forschungen zum Quedlinburger Frauenstift (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 14), Essen 2017; vor allem aber Stephan Freund / Gabriele Köster (Hrsg.), Plötzlich König: Heinrich I. in Quedlinburg (Schriftenreihe des Zentrums für Mittelalterausstellungen, Bd. 5), Regensburg 2019. Hierin die angesprochenen Beiträge von K. Bodarwé und O. Schliephacke.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension